KOMMENTAR

Studie nach Petrovic für Ensemble

 

Begonnen habe ich mich Skizzen zu einem Zyklus von (Bruch-)Stücken für Violine und Klavier, angeregt durch eine faszinierende Schachstudie, deren verblüffende Lösung auf wiederholten Pendelmanövern beruht. In seiner aktuellen Gestalt versammelt Studie längere und kürzere Fragmente in verschiedenen Besetzungen, deren gemeinsamer geheimer Bezugspunkt Anton Weberns Miniatur op. 7 Nr. 3 darstellt. Das Stück könnte deshalb auch »Neun Blicke auf vierzehn Webern-Takte« heißen.

Petrovic 1960 (Weiß zieht und setzt in 8 Zügen matt):

1.Db7! Td8 2.Db3 Ta8 (1. Stellungswiederholung) 3.Ld3! Th1+ 4.Lb1 Th8 (2. Stellungswiederholung) und nun folgt, egal wie Schwarz sich dreht und wendet, nach 5.Dc3! ein Matt in 3 Zügen.

 

/Ein Kinderstück/

 

Ich begann diese instrumentatorische Fingerübung, deren Besetzung eine Hommage an Weberns Orchesterstück op. 10 Nr. 4 darstellt, mit der Festlegung recht starrer Spielregeln – unter Einschluss begründeter, klar definierter Ausnahmen. Doch es wurde schnell kompliziert, die Ausnahmen nahmen überhand. Herausgekommen ist eine durchaus ›analytische‹ Lesart, in der jedoch ein betont spielerisches Moment bewahrt ist. Mir scheint eine solche ›Übersetzung‹ der Struktur der Vorlage angemessen, die trotz einfacher reihentechnischer Rahmenbedingen ein erstaunliches Maß an struktureller Differenzierung aufweist.

 

Bezugspunkt aller beteiligten Instrumente ist der (abwesende) Klang der Mandoline. Ein Kinderstück ist – natürlich – meinen Söhnen gewidmet.

 

 

The Absence (Susanne Barta und Adrian Pereyra gewidmet in Freundschaft)

 

The Absence beruht auf einem nur als unvollständiger Gesangspart überlieferten Purcell-Song. Meine ›Bearbeitung‹ dieses (auf einem Text von William Congreve beruhenden) Fragments spielt das im Text verhandelte Motiv der Abwesenheit auf verschiedenen Ebenen des Tonsatzes durch: Oh! Let me ne’er the pangs of Absence try;/ Save me, from Absence, Love! Or let me die.

 

 

Bagatellen

 

 

Bagatelle: Feige, »petite bombe« (Francis Ponge); Fußnote, Supplement, Ergänzung, Kommentar (Brunnen). Die Bagatellen-Hefte sind mein kleines konzeptuelles Notizbuch und kompositorisches Versuchslabor, verschiedene Arten von Kürze thematisierend. Auch: Immer wieder zurück ans Klavier, diesem störrischen, zauberhaften, unbeweglichen, wunderbaren, fremd-vertrauten Instrument, bis zum Ende vom Lied. (2019/2025)

 

 

 

Beschwörungsforme(l)n

 

›Neue Musik‹ für die Kopie eines Walter-Hammerflügels von 1795 zu schreiben, auf dem jeder Tastendruck einer Beschwörung vergangener Zeiten bedeutet, scheint ein sonderbares, wenn nicht gar widersinniges Vorhaben zu sein. Doch auf historischen Instrumenten sind Dinge zu realisieren, die auf modernen nicht mehr möglich sind. Vor diesem Hintergrund gilt es Räume zu eröffnen, in denen gegenwärtige Kompositionspraxis und historisches Klangkolorit in einen Dialog treten und sich wechselseitig beleuchten können. Mich haben bei der Konzeption vor allem einige spezifische Merkmale des Klavier- oder besser Hammerklaviersatzes beim frühen Beethoven interessiert, insbesondere seine Behandlung von Oktaven in Kontexten, in denen das Instrument als begleitendes, dialogisierendes eingesetzt ist wie in den frühen Violinsonaten. Die Beschwörungsforme(l)n kreisen um Beethovens Oktaven, um ihnen nachzuhören; sie zu umschreiben, auseinanderzuziehen, zu zerstäuben, zu verzerren, zu weiten, unter einer klanglichen Lupe zu betrachten. Dabei wird immer wieder wird das ›Unvollkommene‹, Verschattete und Explosive des Hammerflügel-Klangs thematisiert.

 

 

Canzonetta sopra mi-fa. Fassung für Streichtrio

 

Meine Canzonetta sopra mi-fa ist ein ›Nebenprodukt‹ der fortwährenden analytischen Beschäftigung mit Aspekten der Vieltönigkeit im 16. und 17. Jahrhundert, insbesondere mit dem von Nicola Vicentino (L’antica Musica ridotta alla moderna prattica, Rom 1555) verfochtenen System mit 31 Tönen pro Oktave. Vicentinos Kleinstintervall, die ca. 39 Cent umfassende enharmonische Diesis, ist als Differenz zwischen gis’ und as’ im Stück permanent präsent. In Canzonetta sopra mi-fa verlieren sich enharmonische Klangfolgen wie E-as oder Cis-des, die den Ausführenden in intonatorischer Hinsicht eine Menge abverlangen, im Gespinst von fragilen Flageolett-Trillern und -Glissandi; mitteltönige Ausdifferenzierung (»Musik mit 31 Tönen«), Just Intonation und die durch die leeren Saiten der beteiligten Instrumente gegebene Quinten-Struktur treten in eine spannungsvolle Beziehung, während zugleich die ostinate Grundstruktur einer fortwährenden Entschleunigung unterworfen wird. – Ich begreife mein Komponieren als Medium künstlerischer Forschung, inspiriert durch Tarquinio Merula und Caspar Johannes Walter, geleitet von der Suche nach anregenden Anachronismen. (XII/19)

 

 

O mors. Fassung für Gitarrenduo

 

Mein Beitrag zum Lamento-Projekt des Gitarrenduos santorsa~pereyra beruht auf einer Miniatur von Jacobus Gallus alias Jacob Handl (Harmoniæ morales 1589, Nr. XLII) in konsequenter Reduktion auf fallende Tonschritte. Das Konzept zum Stück stammt aus der Frühzeit des ersten Corona-Lockdowns im März 2020. Im Banne allgegenwärtiger Statistiken über Infektionsrisiken und Sterblichkeitsraten bedeutete es eine irritierende Erfahrung, dass bestimmte kompositorische Verfahrensweisen ihre unschuldige Selbstverständlichkeit zu verlieren schienen.- O, mors, quam dura, quam tristia sunt tua iura. Si mors non esset, quam leatus quilibet esset. [Carmina proverbialia, 232]

 

 

»Rausch«. Fassung für Violine solo

 

Rausch vieltöniger Differenzierung, Rausch der Wahrnehmung: Eine Versuchsanordnung. Ein Versuch auch der Verbindung verschiedener Ansätze des ›Kreuzens‹ und Weiterschreibens, die mir seit einiger Zeit im Kopf herumspuken, komponiert auf der Grundlage einer modularen Ostinato-Struktur.

 

 

her und hin für Gitarre solo

 

»her und hin« entstand als Auftragskomposition der Koblenz Guitar Academy & Festival und wurde für Liying Zhu geschrieben in Fortsetzung verschiedener Ansätze des ›Kreuzens‹ und Weiterschreibens, mit denen ich mich seit geraumer Zeit beschäftige, um Ideen zu generieren, auf die ich auf andere Weise nicht käme. Das Stück – eine Art Erinnerungstheater, in dem, strukturell wie klanglich, alles mit allem in Beziehung steht –, speist sich aus der spielerischen Konfrontation von Kompositionen von Luys de Narvaez, Manuel da Falla, Ernst Křenek, Luciano Berio und Cornelius Schwehr, die mir in verschiedenen biografischen Bezügen Besonderes bedeutet haben. Es entstehen fortwährende Gespinste von Allusionen und immer neue Färbungen des Leersaitenakkords, während die Eichendorff-Referenz im Titel auf zwei wichtige Strukturprinzipien des Stückes, Alliteration und ›Verkehrung‹. anspielt: Ich hör' die Bächlein rauschen/ Im Walde her und hin,/ Im Walde in dem Rauschen/ Ich weiß nicht, wo ich bin.

 

Zu Beginn des letzten Abschnitts der Komposition erklingt – als einziges wörtliches Zitat im Stück – ein Takt aus »sub-version« meines verehrten ersten Lehrers Cornelius Schwehr. (V/22)

 

 

O sonno. Versione alla bastarda für Bassflöte solo

 

O sonno beruht auf dem gleichnamigen Madrigal von de Rore und entstand im Anschluss an einen intensiven analytischen Austausch, den ich von Dezember 2022 bis Februar 2023 mit Anne Smith über eben dieses Stück von Cypriano geführt habe. Mich reizte der Ansatz, die historische »alla bastarda«- Diminutionspraxis in Kontexte zeitgenössischer Komposition zu projizieren; zu ihrer Umsetzung schien mir die Bassflöte aufgrund ihres Umfangs und ihrer spieltechnischen Möglichkeiten in besonderem Maße geeignet. Ich verstehe meine Version von O sonno als Versuch einer ›kompositorischen Lektüre‹, in der die analytische Interpretation eines Stückes Alte Musik, die Auseinandersetzung mit einem ›zeitlos gültigen‹ Text und die Suche nach adäquaten, von der kompositorischen Gegenwart her gedachten Darstellungsformen ein vielschichtiges Spannungsfeld generieren. Im Verlauf des Arbeitsprozesses erwies sich die Suggestion von Polyphonie als besondere technische Herausforderung und Inspirationsquelle zugleich. Die auszugsweise Übertragung des vierstimmigen Originalsatzes auf die Flöte erforderte die Erfindung spezieller ›Scan-Techniken‹, die ihre Spuren in der stellenweise ungewöhnlich komplexen Notation des Stückes hinterlassen haben.

  

O Sonno (Giovanni della Casa)

 

O sonno, o della queta, umida, ombrosa

Notte placido figlio; o de mortali

Egri conforto, oblio dolce de mali

Si gravi, ond’ è la vita aspra & noiosa;

 

Soccorri al cor homai, che langue, & posa

Non have; & queste membra stanche & frali

Solleva: a me t’en vola, o sonno, & l’ali

Tue brune sovra me distendi & posa.

 

Ov’è ’l silentio, che’l dì fugge, e’l lume?

E i lievi sogni, che con non secure

Vestigia di seguirti han per costume?

 

Lasso, che’ nvan te chiamo, & queste oscure

Et gelide ombre invan lusingo. O piume

D’asprezza colme: O notti acerbe & dure.

 

 

Capricci. Musik für drei Bratschen

 

Das Capricci-Projekt habe ich immer wieder halbfertig weggelegt - zu unsicher war ich mir mit diesen Stücken, in denen tatsächlich das Launenhafte, Skurrile und Kapriziöse im Vordergrund stehen sollte. Die nun ausgearbeitete Fassung für drei Bratschen folgt, zugegeben, einigen ziemlich versponnenen Ideen, beispielsweise der (von Gianni Rodari geborgten) Idee des »phantastischen Binoms«, die sich als Erfindungshilfe für die Capricci sehr bewährt hat: So treten (u.a.) Vicentino und Cage, Scheidt (mit Sabbatini) und Lachenmann, Webern und Pesson in imaginäre Dialoge, und Denkweisen der Neo Riemannian Theory werden in Kontexte historischer Stimmungssysteme projiziert. Die nur locker zusammenhängenden Stücke repräsentieren für mich verschiedene grundlegende Spielarten der Bearbeitung. Es dominiert lokale Willkür, die Idee schrulligen Eigensinns und Regelbruchs, das Prinzip der Ausnahmen, die in ihrer Summe vielleicht erneut ein System (der Ausnahmen) ergeben. (XII/24)